Category Archives: Nachlese

In sich ruhender Aktivismus

Ein anregendes, inhaltlich und sprachlich vielfältiges, nachdenklich machendes und auch unterhaltsames Kaffeehausgespräch von ungewöhnlicher Länge (über drei Stunden) war das. Zwischen individueller Verantwortung und Ökodiktatur, zwischen demokratischem Grundprinzip und gezieltem Aktivismus, zwischen Achtsamkeit und Vernunftentscheidung – wir sind alle auf der Suche nach einer Position, die den Zustand des Planeten zumindest nicht verschlimmert und im Idealfall verbessert. Und diese Positionierung bedarf einer Auseinandersetzung mit komplexen Fragen, was im Austausch mit anderen offensichtlich am besten geht.

Über die Macht des Geldes, über Klientelpolitik und die Schwachstelle Mensch in demokratischen und rationalen Systemen, über Fleischessen und Autofahren wurde diskutiert, über optimistische und pessimistische Öko-Rhetorik und ihre Auswirkungen auf das Handeln des und der Einzelnen. Die Bedeutung sozialer Unterschiede kam ebenso zur Sprache wie die Lehren, die aus feministischem Engagement zu ziehen sind, und auch die Versäumnisse früherer Generationen waren ein Thema. Unter den Salongästen befanden sich Aktivistinnen und Aktivisten, kritische Geister und Post-Boomer.

Selbstverständlich haben wir mit dem Gespräch keine realen Probleme gelöst, aber ich fühle mich darin bestätigt, dass das Reden über ein Anliegen, wie es in einem offenen Salon gepflegt werden kann, Geist und Herz berührt und anregt. Eine über das Thema hinausgehende Einsicht ist, dass es beim Lösen von Problemen besonders wichtig ist, dass man ausreichend in sich ruht, um ohne Verunsicherung und gelassen zugeben zu können, dass man etwas dazugelernt hat.
Ich danke allen Salongästen für den angeregten und anregenden Austausch!


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Kultur und Kaiser

Das Kaffeehausgespräch zum Thema „Europa“ war bunt besetzt und entsprechend vielfältig waren auch die Themen. Von einem Verlagsprojekt („Europa erlesen“) kamen wir auf die deutsche Vergangenheitsbewältigung und Günter Grass zu sprechen, auf die babylonische Sprachverwirrung und auf Kaiser Karl IV. Wieder hat sich gezeigt: Der Salon lebt von seinen Gästen!

Das nächste Kaffeehausgespräch wird im Mai stattfinden, Näheres hier im Blog oder per Newsletter.

Ornament oder nicht?

Das Kaffeehausgespräch zum Thema Wiener Moderne war das bislang bestbesuchte in der Kavárna Resslovka. Wie üblich wäre eine kurze Einleitung von mir vorgesehen gewesen, aber ich bin von Hölzchen auf Stöckchen gekommen, das liegt an dem Thema. Alle haben zusammengearbeitet, alles hat miteinander zu tun gehabt, damals, um 1900. Die Salongäste haben zuerst etwas über Kunst und Kultur und Sigmund Freud von mir gehört und dann ihre eigenen Erfahrungen mit Wien, der Wiener Moderne und mit dem Jugendstil eingebracht.

Wir haben beobachtet, dass der Stil der Zeit und das Ornament durchaus zusammengehen, die bürgerliche Ostentation des Neobarock und die Pracht des Prager Jugendstils aber doch unterschiedlich funktionieren.

Das nächste Kaffeehausgespräch wird nächstes Jahr stattfinden, Näheres hier in diesem Blog und per Newsletter.

Biedermeier politisch

Das zweite Kaffeehausgespräch in Ústí nad Labem hat gezeigt: ein Mal wiederholen schafft in der Postmoderne schon eine Tradition – und prompt hat der Salon einen harten Gäste-Kern. Und dieser hat mit Unterstützung des Neuzugangs genau die Aktualisierung des Themas Biedermeier vollzogen, die ich mir erhofft habe. Denn während ich für die Zeit von ungefähr 1815 bis 1848 zuständig bin, wurde in der Runde ausführlich über die “Normalisierung” nach 1968, aber auch über psychologische Experimente zur Autoritätshörigkeit (nature? nurture?) und über das Lernen aus der Geschichte und vom (geopolitischen) Nachbarn diskutiert. Bilder hat es auch wieder gegeben, von Wappen, Biedermeiersekretären, Keulenärmeln und Ranftgläsern.

Neueste Mode, Mai 1829

Ich danke allen Gästen und kündige an: Nach der Sommerpause wird es weitergehen und zwar im September mit dem Thema “Chaostheorie” und im November zum Thema “Wiener Moderne”.  Details dazu wird es hier im Blog geben oder als Ankündigung per E-Mail.

Kaffeehaus-Empirie

Das erste Kaffeehausgespräch in Ústí nad Labem war aus meiner Perspektive ein voller Erfolg. Erstens, weil die Gäste interessiert zugehört aber auch eifrig mitgeredet haben – vielen Dank an die Debut-Salongäste! Und zweitens, weil die Anwesenden gleich den Plan gefasst haben, das Wiener Kaffeehaus demnächst gemeinsam in situ zu besuchen.

Es wird weitere Kaffeehausgespräche in Ústí n. L. geben, weiterhin in der Kavárna Resslovka, die sich als geeigneter Ort erwiesen hat.

Das nächste Kaffeehausgespräch wird voraussichtlich im Juni stattfinden und sich dem Thema „Biedermeier. Der Rückzug in das Private“ widmen. Details werden in diesem Blog und per Newsletter angekündigt.

Zum Mitsingen

Karin

Gastsalonière Andrea Wienhaus, Bildungshistorikerin mit besonderer Expertise auf dem Gebiet der gesellschaftlichen Bedingungen in den 1960er Jahren, gewährte den Gästen des Kaffeehausgesprächs interessante Einblicke in Leben und Werk von Bob Dylan. An Text- und Musikbeispielen (Dank an die Technik!) wie „Who killed Davey Moore“ und „Mr. Tambourine Man“ wurde deutlich, dass Dylans Kunst in der Offenheit für Interpretationen bei gleichzeitiger Positionierung besteht. Das macht seine Songs über Generationen und auch in einer radikal veränderten Welt wirksam. In der Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, ob der heutige Musikmarkt einen Musiker bzw. eine Musikerin wie Dylan überhaupt zulassen würde. Dass es genug Themen gäbe, mit denen sich Künstlerinnen und Künstler kritisch und im Sinne einer Weltverbesserung (Stichwort Ideale) beschäftigen könnten, daran zweifelt wohl niemand. Das Gespräch kreiste auch darum, ob es sich bei Dylan um eine durch Selbstmystifikation erfolgreich gewordene Figur handelt oder um einen quasi mythischen Helden.  Und natürlich wurde die Frage gestellt, ob er den Literaturnobelpreis verdient hat oder ob der nicht doch eher Leonard Cohen zugestanden hätte. Ich bedanke mich noch einmal bei der Gast-Gastgeberin und bei allen, die mitgedacht, -geredet und -gesungen haben für den anregenden Abend!

Von Jelinek zu E. T. A. Hoffmann

Karin

Das September-Kaffeehausgespräch stand im Zeichen von Elfriede Jelinek und wurde von Daniela Strigl eingeleitet und geleitet. Eine Stunde des gebannten Zuhörens, interessierte Fragen und erhellende Antworten, sowie der feste Vorsatz einiger Salonbesucher, es jetzt wirklich auch selbst einmal mit den sperrigen aber durchaus auch komischen Jelinek-Texten zu versuchen, waren die Folgen.

Ganz ohne mein Zutun und durch einen überraschenden Ideengeber kam für den nächsten Termin das Thema “E. T. A. Hoffmann” auf. Wir werden uns also dem vielseitigen Autor des besten Hypertexts des neunzehnten Jahrhunderts (Lebens-Ansichten des Katers Murr nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler in zufälligen Makulaturblättern [1821]) widmen. Details gibt es demnächst hier im Blog und per Newsletter.

Komplizierter Charakter

Karin

Wieder hat ein Thema der österreichischen Literatur des neunzehnten Jahrhunderts im Hamburger Salon Interesse erregt. Ich habe über Franz Grillparzer gesprochen, einen Autor, der in deutschen Gefilden wenig bekannt ist. Von der Überlegung, wie er zum österreichischen Nationaldichter geworden ist über sein schwieriges Liebesleben bis hin zu der Geschichte mit den Oleandern, die ihm das Fortkommen in der Schule gesichert haben (Bestechungsgeschenk an den Prüfer), habe ich in einer Stunde einen Bogen gespannt, aus dem sich die Gäste des Kaffeehausgesprächs bedienen konnten. Dabei zeigte sich deutlich, dass Grillparzers komplizierter Charakter interessant ist. Die Widersprüchlichkeit seiner Person fasziniert und sie drückt sich auch in der Vielfalt seines literarischen Schaffens aus.
Den Salongästen danke ich für ihr aufmerksames Zuhören, ihre Ergänzungen und Fragen. Ich habe wieder viel gelernt. Abschließend möchte ich ein Gedicht mit Ihnen teilen:

Kuss

Auf die Hände küßt die Achtung,
Freundschaft auf die offne Stirn,
Auf die Wange Wohlgefallen,
Sel’ge Liebe auf den Mund;
Aufs geschloßne Aug’ die Sehnsucht,
In die hohle Hand Verlangen,
Arm und Nacken die Begierde,
Uebrall sonst hin Raserei!

Franz Grillparzer: Sämtliche Werke, Bd. 1, S. 164